Rafting auf der Iller

Eine Bootsfahrt, die ist lustig, eine Bootsfahrt, die ist schön…

Bad Wurzach/Blaichach, 07.07.2024 – Als wir, die Memminger Gruppe der Prothesenbewegung, im Frühjahr 24 eine Rafting-Tour planten und dafür den Juli als idealen Sommermonat mit mutmaßlich angenehm warmen bis hohen Temperaturen auswählten, dachte kein Mensch, dass es doch ganz anders kommen sollte.

Tatsächlich ging es am ersten Juli-Wochenende 2024 rauf und runter, eine Art Wechselbad der Gefühle, nicht nur im Hinblick auf das Wetter. Am Freitag, den 04. Juli, als ganz Fußball-Deutschland mit der Deutschen Mannschaft mitfieberte, waren es noch ideale Public-viewing Bedingungen und ein Stimmungs-Hype der seinesgleichen suchte. Natürlich war allerorten die Enttäuschung groß, zumal es gefühlt (und von allen sog. Fußballexperten bestätigt) eine unverdiente Niederlage setzte.

Kaum war diese Enttäuschung einigermaßen verdaut, richtete sich der Blick gen Himmel bzw. auf das Wetterradar für Sonntag. Egal welche Wetter-App man anschaute, es sah überall düster aus. Gewissheit wurde es spätestens am Samstag Abend. Es wurde telefoniert und auf Whatsapp geschrieben, ob wir uns das wirklich antun wollten. 16° waren angesagt, dazu Regen und nochmals Regen.

Ja, wir wollten. Besser gesagt: Wir mussten wohl oder übel wollen und keiner dachte mehr an den Ohrwurm „Eine Bootsfahrt die ist lustig …“, eher schon an „Schluss mit lustig“ oder „das ziehen wir jetzt halt durch“.

15 Personen hatten sich für die Rafting-Tour an der oberen Iller bei Blaichach nahe Sonthofen angemeldet, darunter mit Herbert sowie Anton und Ruth auch drei Leute aus Marlies‘ Augsburger Gruppe. Kurzfristig absagen musste leider krankheitsbedingt Sabrina. Und auch Uwe fühlte sich wegen einer Erkältung nicht fit genug, um die Iller stromabwärts zu bewältigen. Aber er war dennoch mit von der Partie, machte einen Haufen Bilder und begleitete seine Biggi sowie seine beiden erwachsenen Kinder Sven und Nadine.

Beim Eintreffen im Outdoor-Zentrum Allgäu gab’s zunächst viele Fragen an einen der beiden Guides, auch im Hinblick auf Transporte und Hindernisse, die sich uns in den Weg stellen könnten. Dabei wurde rasch klar, dass die Tour nicht nur für uns Amputierte eine gewisse Herausforderung sein sollte, sondern auch für die Guides. Zwar hatte Ludwig aus Aitrach bereits zwei oder drei Rafting-Touren mitgemacht – er hatte auch diese Tour organisiert – aber ganz offensichtlich nicht mit diesen beiden. Nachdem die Grundsatzfrage geklärt war, dass wir trotz der gut gefüllten Iller mit teils entsprechend starker Strömungen starten werden, ging’s ans Ankleiden. Die hautengen Neopren-Anzüge über die Badeprothesen zu ziehen war nicht für jeden ein reines Vergnügen, aber es funktionierte.

Mit unseren Privat-PKWs ging´s zunächst zur ca. 15 km entfernten Einstiegsstelle. Unsere Boote – fünf Canadier für jeweils zwei oder drei Personen standen für uns bereit. Sebbel, der blonde Guide, ein Profi im Canadier, mehrfacher Deutscher Meister und auch im Weltcup erfolgreich unterwegs, erklärte alles Notwendige, was es zu beachten gilt: Wie läuft unterwegs die Kommunikation, wie verhalten wir uns bei starker Strömung, was ist bei Hindernissen (Steine, Brückenpfeiler, Holzstämme etc.) zu beachten, was passiert, wenn einer kentert, wie wird das Boot gesteuert …

Nun sollte es eigentlich losgehen. Aber wir waren nicht die einzige Gruppe, die ins Wasser wollte. Also mussten wir uns zunächst etwas gedulden, machten zur Überbrückung bei nach wie vor leichtem Regen Trockenübungen bis schließlich das Signal kam. Jede Mannschaft hatte sein eigenes Boot mit einem Gewicht von geschätzt 30 kg (gefühlt 50 kg) zunächst rauf zum Damm zu tragen. Dann wieder runter über steiniges, teils glitschiges Gelände bis zum Ufer. Nicht ganz so easy, aber dank der Mithilfe von Begleitpersonen saß jeder nach ein paar Minuten sicher in seinem Boot.

Zu Beginn war´s zumindest für diejenigen, die zum ersten Mal mit Rafting in Berührung kamen, spannend bis aufregend. Zum Glück war die obere Iller anfangs eher ein ruhiges Gewässer. Das aber sollte sich steigern. Steigern mussten auch wir uns, vor allem der Steuermann oder die Steuerfrau sollte das Ruder so ins Wasser setzen, dass das Boot zumindest dort, wo die Strömung stärker war, sich in Fließrichtung bewegte. Das gelang mehr oder weniger bei allen ziemlich gut. Hin und wieder gab es kritische Momente zu überstehen. Die Guides – einer ganz vorne, der andere am Ende der Boote – gaben immer mal wieder Kommandos und wiesen uns dann an, eine ganz bestimmte Linie zu fahren, um Gefahren möglichst klein zu halten. Mit der Zeit kam das Gefühl auf, alles unter Kontrolle zu haben, und so kam schließlich der Spaßfaktor ins Spiel. Die Paddel wurden zweckentfremdet für Wasserschlachten eingesetzt. Boot gegen Boot. Das ca. 13° kalte Wasser sollte schließlich jeder einmal gründlich zu spüren bekommen.

Wie sagt doch gleich der Volksmund? „Übermut tut selten gut“. Die Bestrafung folgte sogleich auf dem (Prothesen-)Fuße. Trotz aller Vorkehrungen und Warnhinweise kam, was kommen musste. Das Boot von Ruth und Anton wurde in einen Strudel gezogen. Sie konnten nicht mehr gegensteuern und kenterten. Auf eine solche Situation wurde ja im Vorfeld explizit hingewiesen. Dementsprechend wusste man – zumindest theoretisch – was zu tun war. Dank der Schwimmwesten und Helme, die alle zu tragen hatten, waren wir vor Gefahren weitgehend geschützt. Dass es dennoch nicht ungefährlich war, wurde bei den beiden Havarierten erst im Nachhinein sichtbar: Ruth hatte sich eine Schramme an ihrer Stirn nach einem Kontakt mit einem Baumstamm zugezogen. Die beiden mussten nun alle ihre Kräfte sammeln, um – auch mithilfe eines Guides – wieder ins Boot zu gelangen. Kurz darauf kam das Kommando für den ersten Stopp an einer Kiesbank. Aber selbst dieses Manöver war nicht ganz ohne Tücken, zumal die Strömung immer für Vortrieb sorgte.

Nach gut einer Stunde war erneut ein Stopp angesagt. Eine Weiterfahrt wäre für uns Laien lebensgefährlich gewesen, da die Iller an dieser Stelle wegen des starken Gefälles allenfalls für Profis passierbar ist. Um diese Stelle zu überwinden, mussten alle aussteigen und ein paar hundert Meter zu Fuß zurücklegen, während die Boote führerlos auf die Reise geschickt und von den Guides unten wieder eingesammelt wurden. Der Fußmarsch entpuppte sich allerdings für Ludwig zur Tortour. Sein schmerzverzerrtes Gesicht sprach dementsprechend Bände. Nichts ging mehr. Grund waren seine beiden Schwimmprothesen, die er längere Zeit nicht mehr getragen hatte und nicht mehr passten. So konnte er besagte Strecke nur durch tatkräftige Unterstützung durch Philipp und Nadine (im Wechsel mit Winfried) bewältigen. Vom Damm hinunter zur Wieder-Einstiegsstelle war dann das Tragen die einfachere Variante: Ludwig setzte sich in ein Boot, und an jeder Seite packten vier Leute mit an. Merkel hätte gesagt: „Wir schaffen das – vielleicht doch nicht“. Spätestens an dieser Stelle war auch den beiden Guides klar, welche Herausforderung die Tour für unsere sehr besondere Gruppe war. Das wurde später auch beim gemütlichen Barbecue deutlich, als wir mit ihnen die Tour nochmals Revue passieren ließen und gute Laune angesagt war.

Nachdem wir uns am Outdoorzentrum unserer hautengen Klamotten entledigt und die warme Dusche genossen hatten, war für jeden die Erleichterung spürbar: Ja, es war geschafft als ein Gemeinschaftserlebnis, das lange nachwirken dürfte. Längst hatte es aufgehört zu regnen, die Sonne kam zwischen den Wolken hindurch und das vorbereitete Buffet tat ein Übriges, um die Anspannung abfallen zu lassen. Die anfängliche Skepsis, die Widrigkeiten, die miesepetrige Laune eines Guides, alles war weit weg und vergessen. Und keiner, auch nicht Uwe, bereute es, dabei gewesen zu sein. Im Gegenteil, es war ein tolles Erfolgserlebnis mit einer zusammengewürfelten Truppe, die nicht erst zum Ende hin harmonierte und dabei einen wirklichen Gemeinschaftsgeist entwickelte. Wir würden’s wieder tun.

„WIR“, das waren: Ludwig, Philipp, Mascha, Herbert, Anton, Ruth, Uwe, Birgit, Sven, Nadine, Martina, Dominik, Carolin und Winfried.