(Rei) 15.07.2023 – Wer Waal hat, hat die Qual – hätte man angesichts der tropischen Temperaturen bis zu 36°, die das Thermometer an diesem 15. Juli in der beschaulichen Marktgemeinde nahe Landsberg bei lediglich einem lauen Lüftchen anzeigte, durchaus annehmen können. Die aktive Selbsthilfegruppe für Arm- und Beinamputierte „Die ProThesenBewegung“ lud zum Sommerfest nach Waal ein. Darin eingeschlossen ein Gehschulevent der Extraklasse.
Aber von wegen Qual: Es herrschte im wahrsten Sinne des Wortes eitel Sonnenschein bei sämtlichen Teilnehmern, die teils lange Anfahrtswege auf sich nahmen und zahlreich erschienen waren. Schließlich war für jeden etwas geboten, was Vergnügen bereitete. Grundlage eines Vergnügens ist natürlich gute Laune. Und die war buchstäblich jedem der etwa 40 Personen mit Handicap ins Gesicht geschrieben. Die meisten kannten sich aus den Gruppen von Landsberg, München und Augsburg bereits, sodass es anfangs ein ebenso großes wie vertrautes „Halloooo“ gab. Mit am Start waren ferner vier Teilnehmer aus dem Raum Memmingen, wo im Herbst eine vierte Gruppe der ProThesenBewegung gegründet wird.
So war es nur allzu verständlich, dass sich der offizielle Beginn der Veranstaltung gleich mal um eine halbe Stunde verzögerte, bevor Cheforganisatorin Michaela Bienert, besser bekannt unter „Biene“, ans Mikrofon trat, um den Startschuss einzuläuten und ein paar Worte zum Tagesablauf zu verlieren. Dazu gehörte der Dank an die Helfer, die sich an Organisation sowie Auf- und Abbau beteiligten, der Dank an diejenigen, die Salate, Kuchen, Muffins und andere Leckereien mitbrachten und nicht zuletzt der Dank an die Sponsoren, die ihren Beitrag zum Gelingen des Sommerfestes leisteten, allen voran die Hessingklinik und das Sanitätshaus Gerstberger aus Memmingen. Ferner galt ihr Dank der Firma Koreis und dem Sportverein, dem TV Waal für die Unterstützung. Biene, die im Vorfeld der Veranstaltung kundtat, „es wird nicht gut werden – es wird mega“, dankte schließlich auch denjenigen, die durch ihre Teilnahme maßgeblich zum Erfolg des Events beitrugen.
Und sie sollte recht behalten mit ihrer Einschätzung eines „Mega-Sommerfestes“, denn es war alles da, was so einen Tag abwechslungsreich, interessant, sportiv, spannend, erfrischend und natürlich auch kulinarisch hochwertig macht:
Ein offenes Zelt mit Biertischgarnituren, einige Pavillons wechselweise als Schattenspender oder Teil eines Parcours, ein kleiner mit Wasser gefüllter Pool, der vor allem nachmittags als willkommene Kühlung der Füße (auch der Prothesenfüße) und als Mittelpunkt für offene Gesprächsrunden angenommen wurde, einen Rasensprenger, der zweckentfremdet als Dusche Verwendung fand, Kaltgetränke mit und ohne „Stoff“, Exponate von der modernen, ergonomisch geformten Gehstütze bis hin zur Badeprothese, mobile Geräte (Biene´s Motorrad-Höllenmaschine, E-Bike und E-Scooter sowie Mario´s E-Bike, das gerne von vielen probegefahren wurde), Steaks und heiße Rote, die von Martin, Biene´s Lebensgefährten, auf dem Grill für’s Mittagessen vorbereitet wurde. Auch er bekam berechtigterweise viel Lob nicht nur für’s Grillen, sondern als wichtiger Teil der Organisation.
Und dann gab´s da noch einen zweiten Martin, nämlich Martin Troglauer, seines Zeichens Physiotherapeut und Gehschullehrer, der zusammen mit seinem kongenialen Partner Stefan John – er ist Gehschultherapeut und im Hauptberuf Orthopädiemechanikermeister – sowie den Kolleginnen Anne und Bernadette durch’s Programm führte und die „Ampus“ gehörig ins Schwitzen brachte.
Los ging´s mit einem lockeren Aufwärmprogramm sowie Sitz- und Aufstehübungen, um dann Koordination und Beweglichkeit mit Hilfsmitteln wie Terrabändern und Stangen jeweils im Duett zu üben. Überhaupt war Lockerheit und gute Laune den ganzen Tag über angesagt, sodass Spaß und Freude im Vordergrund standen.
Anschließend wurden die Teilnehmer in vier Gruppen aufgeteilt entsprechend den auf dem weitläufigen Gelände vorbereiteten Parcoursanlagen. Da war beispielsweise die von der Firma Koreis zur Verfügung gestellte Anlage mit schiefer Ebene und Treppe sowie einem auf dem Boden liegenden Balken, auf dem jeder seine Balancierfähigkeiten vorwärts, rückwärts, seitwärts testen konnte.
Bei einer weiteren Anlage waren kleine Hindernisse aufgebaut mit Slalomstangen, Hütchen und unterschiedlich hohen Stangen, die es zu durchlaufen bzw. zu überwinden galt, natürlich alles unter den gestrengen Blicken des Lehrmeisters Martin, der es verstand, mit seiner klaren Analyse und unmissverständlicher Ansage – er habe zwei Jahre beim „Bund“ gedient, wie er augenzwinkernd feststellte – auf Fehler beim Gehen hinzuweisen. Die reine Lehre lautete: Schmales Gangbild, möglichst gleich große Schrittlängen, Muskelanspannung in Köpermitte und Gesäß und dabei immer den Kopf oben haltend. Dass diese Kommandos manchen doch leicht überforderte, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung. Dennoch konnte im Grunde jeder vom einen oder anderen Tipp, den Martin und Co parat hatten, profitieren.
Schließlich ging´s nach gut zwei Stunden „schweißtreibender Arbeit“ in die wohlverdiente Mittagspause, wo sich jeder ein Schattenplätzchen und vor allem kühle Getränke suchte. Der Nachmittag war dem Austausch vorbehalten, dem persönlichen wie auch dem technischen.
Von überaus großem Interesse hierbei war die Präsentation der „fühlenden Prothese SURALIS“ für weniger Phantomschmerz durch einen eigens aus Wien angereisten Vertreter der Firma Saphenus, der sich auch kritischen Fragen dazu stellte. Dabei gehe es nicht nur um Schmerzlinderung, sondern auch um die Verbesserung des Gangbildes, indem das Gehirn durch deinen Lernprozess die Fähigkeit entwickelt, unterschiedliche Bodenverhältnisse zu erfühlen, ohne auf den Boden schauen zu müssen…
Die Bedeutung dieses Sommerfestes mit Gehschultraining kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das hatte wohl auch Bürgermeister Robert Protschka erkannt. Er war ob des großen Teilnehmerfeldes, des Engagements und der tollen Bedingungen, die auf dem Gelände des Vereinsheims des TV 1897 Waal herrschten, regelreicht begeistert und bot für die Zukunft gerne weitere Unterstützung an.